Dienstag, 19. November 2013

Tag 2 - Leichte Übelkeit.. und ein kranker Dozent

Liebes Nirvana,

heute muss ich hier mal meinen Unmut loswerden.

Der hat wenig damit zu tun, dass unser Dozent heute und morgen krank ist - dafür kann er schließlich nichts (gute Besserung @Ralf Wenda an dieser Stelle, und immer schön weiter tapfer Ingwertee trinken!).  Sondern viel mehr damit, was ich heute morgen anhand seiner Aufgabenstellung, die uns Kursteilnehmer auf verschlungenen Pfaden erreicht hat, über Internetmarketing gelernt habe.

Genauer gesagt, auf der empfohlenen Website Squeezestar.com. Dort soll ich mir in einem Video, das direkt beim Seitenaufruf startet, ohne dass ich eine Info bekomme, wie lange es überhaupt dauert, von einem "Internet-Markter" in einem hässlichen Hemd erklären lassen, warum 97% der Leute, die im Internet versuchen, Geld zu verdienen, damit scheitern, und wie ich es schaffe, zu der Elite der erfolgreichen 3% zu gehören, wenn ich seine Tipps befolge, die er mir doch tatsächlich hier und jetzt in diesem Video verrät. Puh. Erinnert mich ganz verdächtig an ein Video, über das ich vor ein paar Monaten unvorsichtigerweise gestolpert bin, das mir in drei ganz einfachen Schritten beibringen wollte, wie ich ganz gesund und erfolgreich abnehme. Oder meinen Traumjob (-mann, -auto, -wohnung, was fällt euch noch ein) finde. Aus den drei Schritten wurde dann eine elendig lange Präsentation, die mich von einem Versprechen zum nächsten schickte und mir im Zweifelsfall am Ende (bis zu dem ich nicht durchgehalten habe) irgendeine Diätpille (-forum, -rezeptsammlung, -shake..) andrehen wollte.

Meinen Internet-Markter hätte ich normalerweise auch wieder ausgestellt, aber da es nun mal zur heutigen Aufgabenstellung gehört, ihm zuzuhören, halte ich durch.

Also lerne ich, dass die erfolglosen Internet-Markter viel zu viel Aufwand für Design und Programmierung ihrer Website und ihre technische Ausstattung (Videokamera etc.) betreiben und zu allem Überfluß noch viel zu viel Zeit und Geld für ihre Produktentwicklung aufwenden. Das Erfolgsrezept sei dagegen, in all diese Dinge nur 20% des Aufwands zu stecken und 80% in die Vermarktung, sprich: Traffic zu generieren, Email-Marketing zu betreiben, für eine hohe Conversion Rate zu sorgen und Automatisierungstools einzusetzen.

Aha. Also, das Produkt ist eigentlich ziemlich wurscht, und wie meine Website aussieht, im Grunde auch, Hauptsache, ich kenne alle Tricks (die ich dann natürlich auch einsetze), wie ich den Sch* an den Mann und an die Frau bringe??

Na, ganz so ist es natürlich nicht gemeint, erfahre ich in dem Beispiel, mit dem  mein Internet-Markter jetzt rüberkommt, nämlich seinem letzten Produkt, einer Fanpage-Software, mit der er in kürzester Zeit 100.000 Euro verdient hat. (Jawohl! Er weiht mich tatsächlich in seine Geschäftsgeheimnisse ein! Damit hat er sich natürlich mein Vetrauen verdient!)

Ich erfahre nun, dass der Internet-Markter natürlich schon darauf geachtet hat, dass er ein ordentliches Produkt hat und auch die Präsentation im Web ansprechend ist. Nur hat er das alles zwecks Zeit- und Geldersparnis nicht selbst gemacht, sondern auf diversen Freelancer-Plattformen eingekauft: Ein Logo für 35 Euro, eine Wordpress-Website für unter 70 Euro, und für das Produkt selbst - die Software - hat er eine vorhandene Software inkl. Developer-Lizenz für unter 300 Euro eingekauft und dann von einem freien Programmierer mit 50 Zusatzfunktionen pimpen lassen - für 1500 Euro. "Da gibt es ja so viele arbeitslose Programmierer und Designer, die sind froh über jeden Auftrag."

Was für eine Entwertung all dieser Arbeit. Was für eine Entwertung von Können. Was für eine Entwertung der Produkte. Und, vor allem, was für eine Entwürdigung dieser Menschen, die ihr Know-how für so lächerliche Summen verscherbeln (müssen), um überhaupt Aufträge zu bekommen. Ganz nebenbei frage ich mich, ob ich mir die letzten drei Monate Comcave-Fortbildung in Sachen Web-Entwicklung (Typo3, PHP für Fortgeschrittene, jQuery) hätte sparen sollen..

Bei Lichte betrachtet, macht unser Internet-Markter natürlich nichts anderes als das, was jeden Tag in unserer globalisierten Welt passiert, wenn Geschäfte gemacht werden. Dasselbe, was passiert, wenn ich bei Lidl Lebensmittel oder bei H&M Klamotten einkaufe, wenn ich Bücher bei Amazon oder Möbel bei Ikea shoppe. Diejenigen, die die Dinge produzieren, verdienen lächerlich wenig daran. Diejenigen, die sie transportieren, verpacken, sie im Laden verkaufen oder sich im Call-Center mit Kundenanfragen herumschlagen, verdienen kaum mehr. Das große Geld wird woanders gemacht.
Am besten gleich da, wo es gar keine Produkte mehr gibt, sondern nur noch Geld sich selbst vermehrt.

Nun ja, unser Internet-Markter ist gemessen an den Großverdienern der Finanzwirtschaft vermutlich ein kleiner Fisch, vielleicht sollte ich würdigen, dass er sich überhaupt noch mit Produkten abgibt, vielleicht auch dankbar sein, dass er mir für lau von seinen Erfolgsgeschichten erzählt, und vielleicht ist seine Fan-Software auch ganz toll, und ohne seine Idee hätten all die Fanclubs dieser Welt nur beschissene Software, und die unterbezahlten Programmierer und Designer hätten ja schließlich auch einfach mal selbst auf die Idee kommen können, ihr Zeug anständig zu vermarkten, dann müssten sie nicht zu Hungerlöhnen für Internet-Markter arbeiten. Gell?

Trotzdem: Internetmarketing widert mich gerade ein klitzekleines Bisschen an. Nirvana, kannst du mich verstehen?

Übelkeit hin oder her, mein Internet-Markter möchte jetzt mal langsam auf den Punkt kommen und mich für mein "Durchhalten" belohnen: "Morgen" gäbe es ein noch viel tolleres Video, in dem ich erfahre, wie das mit dem Internetmarketing ganz genau funktioniert, und ich könne gleich, "jetzt sofort" ein "Geschenk" herunterladen. Spätestens an dieser Stelle sollte ich eigentlich beide Beine in die Hand nehmen. Aber wir sind ja schließlich im Onlinemarketingkurs und so klicke ich tapfer auf den Button. Und siehe da, ich darf jetzt meine Email-Adresse eintragen.. habe ich irgendwas anderes erwartet? Aber nichts da mit Download jetzt und sofort, ich soll jetzt bitte in meinen Mailaccount gehen und den Link bestätigen. Und, bitteschön, die Absenderadresse auch zu meinen Kontakten hinzufügen, damit die kostbaren Mails nicht im Spam-Ordner landen. Dankeschön, mir reicht es für heute.

P.S. liebes Nirvana, falls du (wie ich vermute) keine Diätpillen, Traummänner oder Geldverdientipps brauchst, aber dich vielleicht auch mal gerne ein klitzekleines bisschen vera* lassen möchtest, kannst du ja mal hier klicken. Ok, ganz altes Späßchen, aber ich verspreche dir, du musst noch nicht mal deine Email-Adresse hinterlassen. :-)

P.P.S. Habe eben auch einen Ingwertee getrunken. Dankenswerterweise hilft der nicht nur gegen Erkältung, sondern auch gegen Übelkeit. ;-)

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